Über Elefanten, Reiter und  Entscheidungen.

Das Leben aktiv gestalten – das ist manchmal leichter gesagt als getan. Dazu sollten wir erst einmal erkennen, was wir wirklich wollen, bevor wir  uns auf den Weg machen, um es zu erreichen. Manchmal ergibt sich daraus für uns ein Dilemma. Unser Verstand sagt uns: tu es. Aber „irgendetwas“ in uns meldet sich und lässt uns zögern, eine Entscheidung zu treffen oder den geplanten Weg zu gehen. Wie entscheidet Du Dich in solchen Situationen? Was siegt – Gefühl oder Verstand?

Wir sollten dieses „irgendetwas“ auf keinen Fall ignorieren. Ich spreche  mit so einigen Menschen über ihre Wünsche und Ziele und auch über Hürden, die sie beim Treffen von Entscheidungen und beim Umsetzen ihrer Pläne erleben. Und ich erlebe das natürlich auch selbst. Auffallend oft höre ich in diesem Zusammenhang den Satz: „Wenn man etwas erreichen will, muss man hart dafür kämpfen. Dem ‚inneren Schweinehund‘ zeigen, wo es lang geht.“ Ist das wirklich so? Oder sitzen wir da einem alten Irrglauben auf. Muss man tatsächlich kämpfen, noch dazu ‚hart‘? Oder können wir es uns vielleicht ein bisschen einfacher machen? Mit dieser Frage möchte ich mich heute beschäftigen. Und damit, was die Wissenschaft zu diesem Thema sagt.

Gefühl oder Verstand?
Lange Zeit wurde uns eingetrichtert: Entscheidungen müssen rational getroffen werden. Verstand ist Trumpf. Besonders im beruflichen Umfeld ist es heute noch häufig verpönt, bei Entscheidungen „auf den Bauch zu hören.“ Manchmal haben wir uns bereits unbewusst entschieden und rationalisieren unsere Wahl hinterher verstandesmäßig. Manchmal tun wir ganz bewusst etwas entgegen unser Gefühl, weil unser Verstand uns das so vorgibt. Aber ist das wirklich hilfreich? Auch wenn die Funktionsweise des menschlichen Gehirns noch nicht bis ins letzte Detail bekannt ist, so gibt es doch bereits sehr spannende Erkenntnisse, die uns bei der Beantwortung dieser Frage helfen.

Zwei Systeme im Kopf.
Vereinfacht ausgedrückt: beim Treffen von Entscheidungen helfen uns zwei Systeme. Beide sind gleich wertvoll für uns. Der eine Teil wird als „emotionales Erfahrungsgedächtnis“ bezeichnet. Es greift auf gespeicherte Erfahrungen, „Bilder“ und die damit verbundene Gefühle zurück und bewertet die Situation blitzschnell: „angenehm“ oder „nicht angenehm“? Dieses System funktioniert binär, es entscheidet zwischen „will ich“ … „will ich nicht“, Annäherung … Vermeidung, gut… schlecht für mich. Es reagiert blitzschnell und äußert sich in Form von körperlichen Empfindungen. Wir nennen das, was wir da erleben, auch „Bauchgefühl“ oder „Intuition.“ Der  Neurowissenschaftler António Damásio prägte für die körperlichen Signale, mit denen sich dieses System bemerkbar macht, den Begriff „somatische Marker.“ Und er hat aufgezeigt was passiert, wenn Gehirnareale, die für diese Aufgabe relevant sind, durch Unfall oder Krankheit ausfallen: unsere Fähigkeit, vernünftige Entscheidungen zu treffen, ist stark eingeschränkt. Allerdings ist dieses System eher auf die kurzfristige Bedürfnisbefriedigung ausgerichtet.

Das andere System, das für unsere Entscheidungen relevant ist, bezeichnen wir als „Verstand“. Hier werden Fakten gesammelt, analysiert und ausgewertet. Dieses System arbeitet sehr präzise, aber wesentlich langsamer. Es kann auch in die Zukunft denken, vergleichen, abwägen. Bevor wir über dieses System zu einem Ergebnis kommen können, hat unser emotionales Erfahrungsgedächtnis bereits eine Wahl getroffen. Wenn es um langfristige Entscheidungen geht, ist diese Wahl aber nicht unbedingt immer die Beste für uns. Mit unserem Verstand können wir auch die zukünftige Entwicklung berücksichtigen und analysieren und dadurch vielleicht zu einer langfristig besseren Entscheidung für uns kommen.

Sind beide Systeme im Einklang ist das wunderbar. Wir brauchen einen Abgleich beider Systeme, um gute Entscheidungen für uns zu treffen. Unser Verstand dient uns, um relevante und hilfreiche Informationen zu erhalten, die uns auch zukünftig gut tun. Mindestens genau so wichtig ist unser „Bauchgefühl“, das uns zuverlässig anzeigt, wenn dabei etwas nicht passt für uns. Es bringt unsere Bedürfnisse zum Ausdruck. Und es signalisiert uns auch prompt, wenn wir einen guten Weg eingeschlagen haben. Wenn wir unser Bauchgefühl einfach übergehen tun wir uns keinen Gefallen. Wenn wir immer wieder unsere Bedürfnisse ignorieren wird das zwangsläufig unser Wohlbefinden beeinträchtigen. Wir sollten unsere Somatischen Marker kennen und wahrnehmen lernen und sie bei unseren Entscheidungen berücksichtigen.

Elefant und Reiter.
Diese schöne und anschauliche Metapher habe ich in meiner letzten Weiterbildung kennen gelernt. Sie hilft mir im Alltag und lässt mich immer wieder über mich selbst schmunzeln. Ursprünglich stammt sie von Jonathan Haidt – einem amerikanischen Psychologieprofessor. Stellt euch das Bild bitte kurz vor: ein kleiner, schmächtiger Reiter auf einem großen, dicken, mächtigen Elefanten. … … …

Der Elefant steht für den unbewussten, intuitiven Teil unseres Gehirns, System 1. Er ist groß, willensstark, intelligent und schnell und verhält sich nach dem Lust- / Unlustprinzip. Für ihn gibt es nur „annähern“ oder „vermeiden“, „will ich“ oder „will ich nicht“. Der Reiter hingegen, analysiert, geht rational vor und symbolisiert damit System 2. Er soll Einfluss auf den Elefanten nehmen und ihn in die gewünschte Richtung lenken. Er steht für den bewussten, rationalen, langfristig denkenden Teil unseres Gehirns. Der Reiter braucht viel Geschick und Energie für seine Aufgabe, seine Kräfte reichen nicht aus, um den Elefanten dauerhaft zu etwas zu zwingen. Seine Chance besteht darin, ihn „mitzunehmen“ auf seinem Weg, es zu schaffen, dass der Elefant ihm freiwillig folgt, das heißt: sich im Einklang mit den Bedürfnissen des Elefanten fortzubewegen.

Wie kann das  im Alltag helfen?
Ein Beispiel aus der Hundehalterwelt: Du suchst Rat bei einem Hundetrainer, der Dir empfiehlt, Deinen Hund zu bestrafen, wenn er Deine Signale nicht befolgt. Der von ihm in Aussicht gestellte Erfolg der vorgeschlagenen Maßnahmen spricht Dich irgendwie an. Schließlich möchtest Du einen gut erzogenen Hund, mit dem Du nicht negativ auffällst. Deshalb hast Du Dich an einen Experten gewandt. Er muss ja schließlich wissen, wie Du Dein Ziel erreichen kannst. 

Gleichzeitig merkst Du bei dieser Empfehlung, wie Dein Elefanten aufschreit. Das äussert sich mehr als diffuses Gefühl und Du spürst vielleicht, dass Deine Schultern anspannen oder sich ein Kloß im Hals bildet (das Empfinden ist sehr individuell). Dein Elefant teilt Dir damit blitzschnell und intuitiv mit „Das will ich nicht.“
Höre auf dieses „Bauchgefühl“ – übergehe es nicht. Es bringt etwas für Dich Wichtiges zum Ausdruck. Hinterfrage die Empfehlungen des Experten. Suche nach einem Weg, die Harmonie zwischen Reiter und Elefanten wieder herzustellen und finde eine Lösung, die sowohl Deinem Reiter, wie auch Deinem Elefanten gerecht wird. Nutze den Reiter, Deine kognitiven Fähigkeiten, um zu ergründen, was Dein Gefühl Dir sagen will und trainiere Deinen Hund auf eine Art und Weise, zu der auch Dein Elefant „ja“ sagen kann.

Gib dem Elefanten Futter.
Wir sind in Balance, wenn Elefant und Reiter in Harmonie miteinander sind. Dann meistern wir unsere alltäglichen, kleinen Herausforderungen und auch die großen Ziele wesentlich leichter. Im Hinblick auf unsere Ziele können wir sogar noch ein bisschen mehr tun: Gib Deinem Elefanten Futter! Was will er? Welche Bedürfnisse hat er? Was lockt ihn an? Berücksichtige das bereits bei der Formulierung und Ausgestaltung Deiner Ziele, bei Deinen ersten Schritten, Meilensteinen – auf Deinem gesamten Weg zum Ziel. Denn wenn unser Elefant zufrieden und glücklich ist, in die selbe Richtung will wie unser Reiter, die beiden vielleicht sogar gemeinsam Spaß haben, wird Zielerreichung fast zum Selbstläufer.