Selbstfürsorge.

Ich merke immer wieder, dass Menschen nicht gerne über Selbstfürsorge sprechen. Wenn dieses Thema im Laufe der Zusammenarbeit mit Klienten aufkommt, spüre ich nicht selten ein Zögern, sich damit zu beschäftigen. 
Manchmal kommt die Frage: „Ist das nicht egoistisch, dauernd an sich selbst zu denken?“ Darauf gibt es nur eine Antwort: Nein. Das ist es absolut nicht. Im Gegenteil. Denn Selbstfürsorge beschreibt eine gesunde Haltung sich selbst gegenüber: ich bin es mir wert, dass ich auf mich achte und so handle, daß es mir gut geht. Das ist alles andere als egoistisch – es ist die Voraussetzung dafür, dass ich auch für andere gut sorgen kann.

Aber fangen wir doch von vorne an. Die häufigsten Anlässe, weshalb Menschen zu mir zu kommen, sind: Stress und kein Ende in Sicht, zwischenmenschliche Konflikte, berufliche oder private Unzufriedenheit („irgendetwas passt nicht mehr“, „soll das jetzt alles gewesen sein?“) oder der (manchmal nicht ganz freiwillige) Übergang in eine neue Lebensphase, z.B. nach Trennung, Jobwechsel, Kinder aus dem Haus, Ruhestand. Sobald wir tiefer in das mitgebrachte Thema einsteigen, spätestens aber, wenn wir uns mit der Zielfindung beschäftigen, kommt manchmal noch etwas anderes zum Vorschein. Denn nun bewegen wir uns weg von dem, was man nicht mehr will, hin zu dem, was man eigentlich will. Nicht selten stellt sich dann heraus, dass die mitgebrachten Themen Symptom und nicht Ursache der aktuellen Unzufriedenheit, Sorgen, Konflikte und des Unwohlseins sind.

Stress als Normalzustand?
Betrachten wir doch mal den heute „typischen Alltag“. Wir haben alle sehr volle Tage. Kaum jemand, der nicht über Überlastung und Zeitknappheit klagt. Wir entschuldigen uns dauernd dafür, weshalb man für dies und das keine Zeit oder keine Nerven hatte. Wir versuchen, alles möglichst gut abzuarbeiten, Anforderungen zu erfüllen und gleichzeitig auch noch dem Partner, der Familie, den Freunden, dem Hund irgendwie gerecht zu werden. Schwächeln gilt nicht. Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Wer rastet, der rostet. Geht nicht, gibts nicht. Immer geradeaus los auf’s Ziel – in möglichst großen Schritten. Das ist es, was unser Umfeld und häufig auch wir selbst von uns erwarten. Etwas essentiell Wichtiges bleibt dabei oft auf der Strecke: wir selbst.

Was passiert, wenn wir uns zu wenig Zeit für uns und unsere Bedürfnisse gönnen? Wenn wir dauerhaft vernachlässigen, was wichtig für unser körperliches und seelisches Wohlbefinden ist? Irgendwann kommt zwangsläufig der Zeitpunkt, an dem uns alles über den Kopf wächst. Unsere Energie lässt nach, wir werden immer unzufriedener mit der Gesamtsituation, unserer Leistung, uns selbst. Wir lassen unseren Frust vielleicht sogar an anderen aus, behandeln Kollegen unfreundlich, vernachlässigen Freunde, gehen ruppig mit unserem Hund um. Die so wichtige, uns normalerweise stärkende Qualitätszeit mit denen, die wir ja eigentlich lieben, wird plötzlich ebenfalls konfliktreich und zur Belastung. Wir verlieren zunehmend den Kontakt zum Moment. Wir sehnen uns den wohlverdienten Feierabend, das Wochenende und den nächsten Urlaub herbei. Wir wollen am liebsten nichts mehr hören und sehen. Unser ganzer Körper sehnt sich nach Ruhe.
Wir leben nicht mehr im Hier und Jetzt, sondern fiebern gedanklich nur noch der Zukunft entgegen. Wir gestalten unser Leben nicht mehr, sondern fühlen uns, als würden wir gelebt. Wir opfern die Zufriedenheit des Moments der Hoffnung, dass es irgendwann besser werden wird. Das kann nur eine gewisse Zeit funktionieren und auch nur dann, wenn die Regenerationszeit zwischendurch ausreichend groß ist und unser System wirklich entlastet. Wenn nicht, entsteht ein immer größer werdender Bedürfnisstau nach Entspannung, Leichtigkeit, Freude und sozialer Nähe. Das tut uns langfristig nicht gut.

Lerne Dich kennen.
Wie können wir diese Abwärtsspirale stoppen, in der wir uns doch so getrieben fühlen? Das Wichtigste ist zuerst einmal die Entscheidung, etwas zu verändern. Spontan denkst Du in stressigen Phasen wahrscheinlich an „sich zwischendurch etwas gönnen“ – einen vitaminreichen Smoothie, das entspannende Glas Wein am Abend, die Lieblingsschokolade, eine Shoppingtour, endlich das lang beäugelte, neue Spielzeug für den Hund bestellen, oder ein neues Freizeitangebot ausprobieren. Das ist das Glück, an das viele zuerst denken, denn das verspricht uns ja täglich die Werbung. Genuss tut gut, keine Frage. Die Jagd nach dem kleinen, hedonistischen Glück verschafft uns kurzfristig einen Kick. Die Betonung liegt auf kurzfristig. Nachhaltig werden wir so jedoch nicht finden, was wir brauchen. Wenn wir tiefes Wohlbefinden erleben, langfristig in Balance bleiben wollen, dann müssen wir noch ein bisschen mehr tun, als das: uns selbst wieder kennen lernen.

Die Wissenschaft liefert uns wunderbare, erprobte Impulse, wie wir trotz all dem Trubel um uns herum wieder zu unserem wahren Kern zurückfinden können. Sie lehrt uns, wie wir uns bei all den Herausforderungen im Blick behalten. Wir können uns aus ihrem Wissensschatz das heraussuchen, was zu uns passt und uns hilft, in Balance zu bleiben. Wenn wir die Empfehlungen nachhaltig in unser Leben integrieren, kann es gut sein, dass sich das Leben weniger schwer und drückend, sondern nach und nach leichter und freier anfühlt. Dabei darf man sich gerne vom gewohnten Perfektionismus verabschieden. 😉

‚Me-Time‘
Beim Thema Selbstfürsorge geht es nicht um „alles ist positiv“, oder darum, ständig auf Wolke Sieben zu schweben. Es geht darum, wahrnehmen zu lernen, wer wir sind und was wir brauchen, um uns wohl zu fühlen. Wir lernen wieder, neugierig hinzuspüren, was im Moment passend für uns ist. Es geht um eine nicht endende Entdeckungsreise zu uns selbst. Denn wir verändern uns mit jedem Erleben. Es geht darum, uns mit unseren Werten und Zielen – eben mit dem, was uns wichtig ist – auseinanderzusetzen, und darum, unsere Stärken zu leben. Wir sollten aufhören, zu „funktionieren“, weniger von dem zu tun, was von uns erwartet wird und mehr von dem, was wir uns wirklich ausmacht. Es geht darum, sich mehrmals am Tag die Frage zu stellen: wie geht es mir jetzt in diesem Augenblick. Was brauche ich jetzt? Was denke und fühle ich gerade? Was sagt mir mein Körper? Gönne Dir diese Me-Time-Minuten mehrmals täglich. Passe Dein Leben kreativ an Dich, Deine Werte und Deine Bedürfnissen an, nicht umgekehrt.

Starte mit ganz kleinen Schritten. Babysteps. Einer nach dem anderen. Wenn Du bereit dazu bist, wenn es sich gut anfühlt, gehe noch einen Schritt weiter und setze Dich ehrlich mit Deinen Emotionen auseinander. Indem Du Deine Gefühle, Gedanken und Deine Körpersignale reflektierst, lernst Du unheimlich viel über Dich selbst. Sie helfen Dir, Deine Bedürfnisse und Werte zu erkennen, das, was wichtig für Dich ist. Sie signalisieren Dir auch wann Du Deine Grenze wieder mal überschreitest.

Wenn Du Dich auf diese Entdeckungsreise einlässt, Dir täglich ein bisschen ‚Me-Time‘ spendierst und Selbstfürsorge lebst, dann wird Dein Leben leichter. Denn wenn Du selbst in Balance bist, wird das auch Dein Umfeld spüren. Manche Probleme entstehen dann erst gar nicht, denn Du hast es für Dich geschafft, an der Ursache zu arbeiten, anstatt Dich später mit Symptomen herumzuschlagen.

 

Wichtiger Hinweis:
Die Beiträge in meinem Blog sollen dabei helfen, in Balance zu bleiben. Die Themen beinhalten präventive Impulse und Ideen. Solltest Du das Gefühl haben, dass Du feststeckst oder Dich im Kreis drehst, möchte ich Dich ermuntern, Dir Unterstützung zu holen. Viele Menschen erleben in ihrem Leben einmal eine Phase, aus der sie nur schwer alleine herausfinden. Und genau für diese Lebensphasen sind therapeutische Angebote gedacht – sie unterstützen Dich dabei, Deinen Weg zu finden, der da herausführt.