In meiner Praxis hängt das Bild eines Wellenreiters. Es ist immer wieder Thema in Klientengesprächen, denn es drückt für mich sehr gut das aus, was ich im Leben für hilfreich halte: sich der Fähigkeiten bewusst zu werden, die uns helfen auf den Wellen des Lebens zu surfen, anstatt sich von ihnen umwerfen oder mitreißen zu lassen. Passen Wellengang, Erfahrung und Fähigkeiten zueinander, gleitet man glücklich und ohne große Anstrengung dahin. Werden die Wellen höher, kann es hilfreich sein, zusätzliche Ressourcen zu aktivieren.
Auch wenn wir eigentlich die für die jeweilige Situation wichtigen Fähigkeiten haben – sie müssen auch zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung stehen. Manchmal ist das gar kein Problem und manchmal hindert uns etwas daran, im richtigen Moment auf sie zuzugreifen. Wir können solche Situationen für uns reflektieren und herausfinden, was beim nächsten Mal helfen könnte. Lernen gehört zum Leben – vom ersten bis zum letzten Atemzug. Wir lernen auch dann, wenn wir uns darüber gar nicht bewusst sind. Manchmal gelingt uns das ganz nebenbei, manchmal stolpern wir über etwas. Das gehört dazu. Als wir damals laufen gelernt haben, sind wir immer wieder hingefallen. Immer wieder aufgestanden. Wir haben in ganz kleinen Schritten geübt, wurden immer besser. Manchmal hatten wir Unterstützung, manchmal haben wir es alleine versucht. Und irgendwann, nach vielen Wiederholungen, war es so weit – wir haben es geschafft. Ein gutes Gefühl … wie jedes Mal, wenn uns etwas aus eigener Kraft gelungen ist.
Die nächste Herausforderung kommt bestimmt. Wir können uns immer wieder entscheiden: nehmen wir die Dinge in die Hand oder geben wir uns den Umständen hin? Fragen wir uns, ob sie veränderbar sind, oder gehen wir automatisch davon aus, dass sie es nicht sind? Machen wir für uns eine Lernaufgabe daraus oder fühlen wir uns als ‚Opfer‘? Schaffen wir es alleine, oder holen wir uns dabei Unterstützung?
Wir werden uns zufriedener fühlen, wenn wir unser Leben gestalten, anstatt einfach alles hinzunehmen. Es kann sehr hilfreich und energiesparend sein, wenn wir uns bewusst machen, was wir verändern wollen und was wir tatsächlich verändern können. Wenn wir eine Situation als veränderbar erleben, wird es uns sehr wahrscheinlich gelingen, einen Weg für uns zu finden, der zu unseren Zielen und Werten passt. Auch, wenn wir an den Umständen nichts ändern können, ist Veränderung möglich: wir können unsere Sichtweise reflektieren und für uns einen guten Umgang damit finden.
Menschen, die im Blog schon länger mitlesen, ahnen wahrscheinlich was jetzt kommt: der Bogen zum Leben mit Hund. All das trifft natürlich auch auf unsere Herausforderungen im Alltag mit unserem Hund zu. Und wir können auch unseren Hund und sein Verhalten auf diese Art betrachten. Hunde lernen wie wir mit jeder Erfahrung. Nur können Sie ihr Verhalten nicht reflektieren, ihre Perspektive nicht verändern. Sie sehen die Welt wie ein Hund. Das, was wir aus menschlicher Sicht für „ganz normal“ halten, was wir problemlos einordnen können, ist für den Hund teilweise ein großes Mysterium. Ihm fehlen die kognitiven Fähigkeiten, um unsere komplexe Menschenwelt zu ‚verstehen‘. Auch bei Hunden gibt es individuelle Unterschiede. Was für den einen kein Problem darstellt, kann für den anderen eine kaum zu bewältigende Herausforderung sein. Das hängt, wie bei uns Menschen, von Genetik und Erfahrungen ab.
Die meisten Dinge sind für den Hund allerdings nicht veränderbar. Er hängt am anderen Ende der Leine, er kann nicht einfach weg gehen. Er ist abhängig von uns Menschen und bräuchte wahrscheinlich häufiger unsere Unterstützung, als uns bewusst ist. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie die Dinge, die für uns Menschen ‚normal‘ sind, auf den Hund wirken? Unser Hund nimmt Welt da draußen anders wahr als wir. Und dank seines viel besseren Geruchssinnes können wir gar nicht erahnen, was er alles bemerkt.
Betrachten Sie ihren nächsten gemeinsamen Spaziergang doch mal ganz bewusst aus der Perspektive des Hundes. Versuchen Sie ansatzweise zu verstehen, wie die (Menschen-)Welt aus Hundesicht wirken mag. Lernen Sie ihren Hund noch besser kennen und beobachten Sie ihn genau. Wann zeigt er uns, dass er sich nicht wohl fühlt, dass ihn etwas überfordert? Achten Sie auf auch auf kleinste körperliche Veränderungen. Hundesprache ist sehr subtil, viele Zeichen sind für uns nicht so einfach erkennbar. Wir müssen genau beobachten und unsere Wahrnehmungsfähigkeit schulen, damit wir unseren Hund verstehen lernen. [1]
Unser Hund zeigt uns, wann er unsere Unterstützung braucht. Wir müssen sie nur lesen lernen, die so genannten ‚Stress-Signale‘. Helfen Sie ihm dabei, einen guten Umgang mit Dingen zu finden, die ihn ängstigen oder überfordern. Ersparen Sie ihm das Gefühl, den Umständen hilflos ausgeliefert zu sein. Obwohl der ein- oder andere Hund dann nach außen vielleicht ruhig wirken mag (nicht alle.. manche werden auch laut) – in Wirklichkeit hat er nur gelernt, dass ihm Kommunikation in dieser Situation nicht weiterhilft, dass ihn seine wichtigste Bezugsperson ihn im Stich lässt. Helfen, Sie ihm, solche Situationen auf eine Art zu meistern, dass es ihm gut dabei geht. Er wird Ihnen dadurch zukünftig noch mehr Vertrauen schenken. Und Sie haben jedes Mal selbst die schöne Erfahrung gemacht, eine Herausforderung gemeinsam als Team gut gemeistert zu haben.
[1] DVD-Tipp: Das Kleingedruckte in der Körpersprache des Hundes, Dr. Ute Blaschke-Berthold (Hunde DVD Shop)