Timeout. Einfach nur ‚da sein‘.

Den Begriff ‚Timeout‘ habe ich mir aus dem Sportbereich ausgeborgt. Es wird durch das prägnante Handzeichen in Form des Buchstabens T angekündigt und bedeutet, dass die Mannschaft eine Spielunterbrechung möchte. Mir gefällt diese Symbolik im Zusammenhang mit dem heutigen Thema, weil sie  ein schönes Bild dafür abgibt, was ich in unserer Leistungsgesellschaft für wichtig halte: sich ganz bewusst dafür zu entscheiden, das Höher-schneller-weiter-Spiel zwischendurch mal für sich zu unterbrechen.
Handy ab. Durchatmen. Pause.

Manchmal ist das gar nicht so einfach. Und doch gibt es immer wieder Situationen, in denen wir uns bewusst für eine kleine Alltagsunterbrechung entscheiden könnten, aber nicht auf die Idee kommen, es zu tun. Wir könnten den Anfang dort machen, wo es in unserem Einflussbereich liegt, nicht immer das Maximum zu wollen. Wir könnten zum Beispiel darauf achten, nicht auch noch unsere Freizeit bis zur letzten Minute vollzupacken mit Aufgaben, Verpflichtungen, Aktivitäten. Wir könnten uns kleine Freiräume schaffen, um das tun, was heute viele Menschen kaum mehr tun: NICHTS. Immer mal wieder für eine kurze Zeit die Gedanken ziehen lassen, einfach nur vorurteilsfrei wahrnehmen und „da sein“.

Wenn ich diese Idee Menschen gegenüber formuliere, die noch völlig vom Maximierungsanspruch absorbiert sind, höre ich manchmal „ich habe keine Zeit dafür“ und „ich würde ja gerne, kann mein Gedankenkarussell aber nicht stoppen“. Und genau hier sind diese Ideen hilfreich. Eine Studie, die ich vor ein paar Wochen gelesen habe, zeigt den Zusammenhang zwischen Stress und Gesundheit auf. Sie besagt, dass sich sechs von zehn Menschen in Deutschland gestresst fühlen und dass dieser Trend zunimmt. Ebenso gibt es eine steigende Anzahl von Menschen mit psychischen Beschwerden. Depressionen, Angsterkrankungen und Belastungsstörungen werden immer häufiger diagnostiziert. Zufall? Nein. Da besteht ein Zusammenhang. Wir sollten unseren Umgang mit Stress… mit uns selbst überdenken. Es nicht so weit kommen lassen, dass wir ausbrennen.

Jeder kann sich regelmäßig eine Pause in den Alltag einbauen. Mit ein bisschen Übung geht das. Wir tun es nur nicht, weil wir uns manchmal von der Alltagshektik mittreiben lassen und in der Multitaskingschleife festhängen. Wir haben uns jahrelang darin geübt, möglichst mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. „Multitaskingfähigkeit“ war und ist nach wie vor gefragt. Ein hoher Anspruch, den wir da an uns stellen, vor allem deshalb, weil Wissenschaftler inzwischen erkannt haben, dass wir dazu gar nicht wirklich in der Lage sind. Wir können zwar mehrere Dinge gleichzeitig tun, aber nur mit geteilter Aufmerksamkeit. Unser Gehirn kann sich nicht gleichzeitig auf zwei Dinge konzentrieren. Man springt hin- und her und das klappt maximal für zwei parallele Aufgaben und auch da nur einigermaßen. Multitasking ist anstrengend und fördert Fehler. Es beschert uns ein Gefühl der Reizüberflutung und Überforderung. Der Maximierungswahn bringt keine Vorteile, sondern nur Nachteile. Besser ist es, Aufgaben zu priorisieren und nacheinander abzuarbeiten, empfiehlt zum Beispiel der Hirnforscher Henning Beck. [1]

Doch wie schaffen wir es, wieder auszusteigen? Es funktioniert so wie immer, wenn man Gewohnheiten verändern möchte: in ganz kleinen Schritten. Wenn Sie möchten, können Sie gleich heute mit ein paar Minuten Zeitinvestition beginnen …

Idee: 3-Minuten-Timeout
Nehmen Sie sich erst einmal nur drei Minuten Zeit für diese Idee. Die Übung ist ganz simpel aufgebaut, überall durchzuführen und erfordert keinerlei Hilfsmittel.

Suchen sie sich eine ruhige Ecke oder einen ruhigen Ort in der Natur. Kommen Sie erst einmal an. Schließen sie kurz die Augen und Atmen Sie ein paar mal bewusst ein- und aus.
Sind sie angekommen? Dann richten Sie die Aufmerksamkeit auf Ihre Sinne.
SEHEN sie sich um. Was sehen Sie in ihrer unmittelbaren Umgebung? Nehmen Sie Farben, Formen, Licht und Schatten bewusst und im Detail wahr. Bewerten Sie nicht was sie sehen. Wenn Gedanken aufkommen, lassen Sie sie vorüberziehen und richten Sie die Aufmerksamkeit wieder auf Ihre Sinneswahrnehmung.
HÖREN sie: welche Geräusche sind hier? Windgeräusche? Vogelgezwitscher? Das Brummen eines Motors?
RIECHEN Sie. Welche Gerüche nehmen Sie wahr?
FÜHLEN Sie. Wärmt die Sonne? Spüren Sie einen Lufthauch?

Augen, Ohren, Nase, Haut… gehen Sie alle Sinnesorgane durch. Vielleicht nehmen Sie sogar einen Geschmack wahr? Kommen Sie im ganz im Hier und Jetzt an und lassen sie Ihre Gedanken vorbeiziehen. Bewerten Sie nicht…. lassen Sie sich ganz ein auf den Moment.
Vielleicht gelingt Ihnen dann das Loslassen des Alltags noch besser, wenn Sie den Timer des (ausgeschalteten!) Handys oder Ihrer Uhr auf drei Minuten stellen?

Wenn Ihnen diese Übung gut tut, wiederholen Sie es doch einfach. Drei Minuten sollten uns ein gutes Gefühl wert sein. Vielleicht waren Ihnen diese drei Minuten auch zu wenig und Sie wollen diesen Zustand des „sich voll auf den Moment einlassen“ länger genießen? Dann verlängern Sie die Zeit. Vielleicht reicht ihnen 1x täglich nicht? Machen Sie unser kleines Experiment doch einfach häufiger und an verschiedenen Orten.

Timeout für Hund und Mensch
Dieses ‚Timeout‘ lässt sich wunderbar zusammen mit dem Hund in den Spaziergang einbauen. Auch ihm tut eine kleine Auszeit gut. Ich habe es sogar als Signal für meine Hunde aufgebaut. Sie wissen dann, dass jetzt keine Interaktion zwischen uns stattfindet. (das ist auch in anderen Situationen recht praktisch 😉 ) Meine Hunde werden (wenn nötig) mit einer passend langen Leine gesichert und bekommen ihr konditioniertes Entspannungsdeckchen mit beruhigendem Duft als zusätzliche Hilfe. Ich verwende Timeout als Wort- und Handsignal, damit sie wissen, die nächsten Minuten gibt keine Interaktion mit mir und dann ‚sind‘ wir nur noch. Jeder für sich und doch gemeinsam…

Quellen und Literatur
[1] Henning Beck: „Hirnrissig: Die 20,5 größten Neuromythen – und wie unser Gehirn wirklich tickt.“, Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG (25. August 2014)