Setz’ öfter mal die rosa Brille auf.

„Die rosarote Brille aufhaben“ steht umgangssprachlich dafür, die Dinge in einem zu positiven Licht zu sehen, für ein unrealistisches Weltbild, für heitere Verspieltheit. Man wird dann aufgefordert „die rosa Brille abzunehmen“ und den Dingen „realistisch ins Auge zu blicken“. Doch was bedeutet eigentlich „realistisch“? Ist nicht alles irgendwie gefärbt durch unsere persönliche Sichtweise, unsere Erfahrungen, unser Erleben? Egal, ob positiv oder negativ?

Wenn ich die Wahl habe, meinen Alltag tendenziell rosa gefärbt oder alternativ grau-in-grau getüncht zu erleben, weshalb sollte ich der zweiten Variante den Vorzug geben? Spätestens seit ich mich mit Barbara Fredrickson’s Buch „Die Macht der guten Gefühle“ (1) beschäftigt habe, bin ich aus tiefsten Herzen davon überzeugt: ich setze mir ganz bewusst und immer wieder die rosa Brille auf. Ich will meine Aufmerksamkeit auf das Schöne im Alltag legen, viele positive Emotionen erleben. Jeden Tag.

Barbara Fredrickson ist Professorin für Psychologie an der University of North Carolina in Chapel Hill und hat die Entwicklung der Positiven Psychologie als Wissenschaftlerin maßgeblich beeinflusst. Sie hat unter anderem die ‚Broaden-and-build-Theorie‘ entwickelt, die durch zahlreiche Studien belegt wurde. Sie besagt, dass das häufige Erleben positiver Emotionen unsere Wahrnehmung erweitert und sich positiv auf unseren Körper, unsere zwischenmenschlichen Beziehungen und auch auf unsere Beziehung zu uns selbst auswirkt. Erleben wir täglich positive Gefühle in ausreichendem Maß werden wir kreativer, kontaktfreudiger, weltoffener, lösungsorientierter. Es entsteht eine Art ‚Aufwärtsspirale‘, die unser inneres Wachstum und unser Wohlbefinden fördert. (1) Und noch mehr als das. Positive Gefühle können die Konsequenzen ’negativer‘ Emotionen abmildern und ausgleichen. Auch dieser sogenannte „Undoing Effect“ konnte in Studien nachgewiesen werden. (2)

Rosarot bebrillt mit Hund durch die Natur
Jeden Tag beim Spaziergang mit dem Hund bieten sich zahlreiche Gelegenheiten, die Dinge rosa zu sehen und positive Gefühle zu erleben. Gerade jetzt, im Frühsommer blüht und grünt alles. Die Sonne scheint, die Natur ist aktiv und zeigt uns ihre schönste Seite. Eine tolle Gelegenheit, unsere bewusste Wahrnehmung zu fördern. Die Natur macht es uns in diesem Monaten einfach zu üben und unsere Aufmerksamkeit auf diese schönen Dinge zu lenken: das Zwitschern der Vögel, die Geräusche des Waldes, das satte Grün der Wiesen und Bäume, die warme Sonne, der angenehmen Lufthauch auf der Haut. Je ausgeglichener und fröhlicher wir selbst sind, desto positiver wird uns unser Umfeld begegnen. Und es tut uns gut, freundlich auf andere Menschen zuzugehen. Ihnen auch mal völlig ohne Anlass ein Lächeln zu schenken.  
Im täglichen Umgang mit unseren Hund dürfen – und sollten wir sogar- die rosa Brille aufsetzen. Es wirkt sich positiv auf die Beziehung zu unserem Hund aus, wenn wir uns fröhlich und freundlich verhalten. Unsere Stimmung überträgt sich auf ihn. Und das wirkt sich wiederum auf das  Verhalten unseres Hundes aus. Wir erleben angenehme Gefühle, wenn wir unsere Aufmerksamkeit darauf lenken, was unser Hund gut macht ihn für gutes Verhalten loben. Wir dürfen uns wundern und freuen, wenn wir uns seine erstaunlichen Fähigkeiten bewusst machen und sie spielerisch gemeinsam mit ihm erleben und fördern. Und wir dürfen stolz darauf sein, was wir gemeinsam schon gelernt und trainiert haben, wie wir im Lauf der gemeinsamen Zeit zusammengewachsen sind und wie wir es täglich schaffen, trotz des unterschiedlichen Kommunikationsverhaltens miteinander zu interagieren.

Es sind nicht die großen, knalligpinken Farbexplosionen, die den Unterschied für unser Erleben und Wohlbefinden machen, sondern die vielen kleinen, rosa Farbtupfer. Je mehr wir uns darin üben, sie wahrzunehmen, desto häufiger werden wir Möglichkeiten für uns finden, schöne, erfreuliche Dinge in unseren Alltag zu integrieren. Den Effekt der Aufwärtsspirale werden wir dann am eigenen Leib spüren.

Viele positive Emotionen erleben zu wollen bedeutet übrigens nicht, Emotionen wie Angst, Trauer, Schmerz oder Wut zu verdrängen. Diese Gefühle sind ebenfalls wertvoll für uns und sollten angenommen und wertgeschätzt werden. Sie haben eine wichtige Funktion. Wir müssen uns aber nicht in ihnen verlieren. Wir können ihnen den nötigen Raum geben und gleichzeitig versuchen, es uns da, wo es geht, gut gehen zu lassen.
Sowohl als auch.

In diesem Sinne starte ich nun in ein sonniges, rosagetupftes Wochenende und wünsche uns allen viele schöne Erlebnisse.

 


Literatur- und Quellenangaben:
(1) vgl. Fredrickson, Barbara L: Die Macht der guten Gefühle, Campus Verlag GmbH, 2011
(2) vgl. Blickhan, Daniela: Positive Psychologie, 2. überarbeitete Auflage 2018, jungfermann-Verlag, S. 77